Super-Tuscans – eine Erfindung aus den 60er

Lange Zeit war die Toskana nur für ihre bauchigen Flaschen mit rustikalem Chianti bekannt, welcher in die malerischen Flaschen mit dem Strohmantel abgefüllt wurde. Es waren meist dünne, fade Weine, die ein Schatten dessen standen, was die Region heute zu produzieren vermag.

Während das Chianti einst für seine guten Weine bekannt war – es war die erste Region, in der im 18. Jahrhundert geografische Grenzen für die Weinproduktion festgelegt wurden – war sein Ruf Mitte des 19 Jahrhundert nicht unbedingt der Beste. Denn das Anbaugebiet war in den 1930er Jahren weit über das historische Herz der Region hinaus ausgedehnt worden und umfasste nun auch weniger bedeutende Weinberge, was der Qualität nicht besonders träglich war. Die Vorschriften für die Appellation ermutigten die Erzeuger, Quantität über Qualität zu stellen, indem sie Erträge von bis zu 85 Hektoliter pro Hektar (hl/ha) zuliessen und vorschrieben, dass Rotweinmischungen mindestens 10 % (und bis zu 30 %) weisse Trauben und höchstens 50 % Sangiovese enthalten mussten. Das Ergebnis war entsprechen, übel, denn die Winzerinnen und Winzer nutzten vor allem den ertragreichen Trebbiano, um die einst berühmten Weine möglichst billig zu produzieren. Das Resultat kenne noch viele, welche vor 1980 auf die Welt kamen und die Bastflasche (Fiasco) noch sehr gut.

Dann aber, gab es einen Mann, der all dies änderte. Sein Name war Mario Incisa della Rochetta, ein Mann, der mit seinem Grossvater zusammen aufgewachsen war und gerne Weine aus dem Bordeaux trank. Man schreib das Jahr 1944 – er vermisste den Geschmack von Bordeaux und liess sich von eben diesen Weinen inspirieren, worauf er auf dem Weingut Tenuta San Guido in Bolgheri, für seine Frau einen Weinberg anlegte und dort die klassichen Reben welche im Libournaise verwendet werden, zu kultivieren.

Er fand einen steinigen Standort, der über 300m über dem Meeresspiegel lag, nahm Cabernet-Stecklinge von Herzog Salviati und pflanzte seine ersten Rebstöcke. Der daraus resultierende Wein wurde ausschliesslich von Familie und Freunden getrunken, da er von den Einheimischen als „zu grün“ taxiert wurde  . Doch Incisa della Rochetta war von den Ergebnissen ermutigt und beschloss 1965, weitere Reben weiter unten am Hang und näher am Meer zu pflanzen.

Sein Neffe Piero Antinori – der kurz zuvor den Familienbetrieb übernommen hatte – erkannte das Potenzial des Weins, und der Antinori-Winzer Giacomo Tachis begann mit der Herstellung des Weins. Beeinflusst von seiner Zeit in Bordeaux, füllte Giacomo den Keller mit neuen französischen Barriques – kleinen Fässern, die eine radikale Abkehr von den traditionellen grossen, alten Fässern aus slawonischer Eiche bedeuteten. 1971 überzeugte Piero Mario, den Jahrgang 1968 auf den Markt zu bringen, und ein Star war geboren: Sassicaia.

Da er zu 100 % aus Cabernet Sauvignon besteht, in neuer französischer Eiche gereift ist und aus Bolgheri stammt – einer Region, die damals noch keine DOC hatte – wurde der Sassicaia mit der niedrigsten offiziellen Klassifizierung für italienischen Wein, „vino da tavola“ oder Tafelwein, ausgezeichnet. Er wurde schnell von Kritikern und Verbrauchern gelobt und erzielte einen hohen Preis, der doch sehr im Widerspruch zu seiner Klassifizierung stand.

Der Erfolg von Sassicaia fand schnell Nachahmer und so brachte Piero Antinori 1971 den ersten Tignanello heraus. Eine Mischung aus Sangiovese und Cabernet, welche im Herzen des Chianti Classico angebaut wurden.

Weiter schlug der Bordeaux Experte Emile Peynaud vor, auf die in der Appellation vorgeschriebenen weissen Trauben zu verzichten und den Wein in neuer französischer Eiche reifen zu lassen. Da er nicht den Regeln des Chianti entsprach, wurde auch der Tignanello als Vino da Tavola verkauft.

Ein paar Jahre später war Piermario Meletti Cavallari soweit und gründete das Weingut Grattamacco 1977. Er war der erste Winzer, der Bolgheri auf dem Etikett vermerkte. Er tat das nicht etwa bescheiden und klein – nein, der Name Bolgheri war sogar grösser aus der Name des Weines zu erkennen und so war ein weiterer Super-Tuscan geboren.

Und so ging es Schlag auf Schlag. Piero Antinoris Bruder Lodovico gründete 1981 die Tenuta dell‘ Ornellaia und baute zusätzlich zum Cabernet auch Merlot an. Eine ganze Reihe von Chianti-Erzeugern folgten diesem Beispiel und rissen das Regelwerk der Appellation um, um Cuvées aus internationalen Trauben wie Cabernet, 100% Sangiovese und/oder französischer Eiche herzustellen: Le Pergole Torte, Flaccianello, Cepparello, Percarlo, Fontalloro und viele mehr haben die Grenzen dessen, was in der Toskana möglich war, erweitert.

Diese Weine – die „Super Tuscans“, wie sie genannt wurden – fanden bald weltweite Anerkennung. 1978 organisierte Hugh Johnson für den Decanter eine Blindverkostung der besten Cabernets der Welt. Der Sassicaia, der neben den Premier Crus verkostet wurde, ging dabei als Sieger hervor. Der 1985er Jahrgang des Sassicaia wurde legendär, als Robert Parker – der gerade zu Ruhm gekommen war – ihm 100 Punkte gab. Im Jahr 2001 wurde der 1998er Ornellaia vom Wine Spectator zum Wein des Jahres gekürt. So zeigten diese Weine dem italienischen Bezeichnungssystem den Stinkefinger, da sie trotz ihres Status als vino da tavola für den gleichen Preis wie Grands Crus Classés verkauft wurden und weltweit Anerkennung fanden.

Um die Flut dieser Ultra-Premium-Tafelweine einzudämmen, begannen die italienischen Behörden, Änderungen vorzunehmen. In den späten 1990er und frühen 2000er Jahren änderten die italienischen Behörden die Regeln für die Appellation Chianti, um die Weine zurückzuerobern, indem sie mehr Variationen bei der Weinherstellung zuliessen, keine weissen Trauben mehr verlangten und 100% Sangiovese-Weine erlaubten. Doch der Schaden war angerichtet, denn die Super Tuscans hatten sich bereits als eigene Marke etabliert. Nur wenige kehrten zurück, um den Namen Chianti auf ihrem Etikett zu verwenden – eine Region, die nach Ansicht der Erzeuger weder damals noch heute einen Ruf hatte, der der Qualität dieser Weltklasseweine entsprach.

Weine wie Sassicaia, Tignanello und Ornellaia zogen die Aufmerksamkeit des internationalen Weinmarktes auf Italien. Die kühnen, grossen und gehaltvollen Weine, die von den Kritikern gelobt wurden, waren wohl die Wende für das Land und bewiesen, dass Italiens Weine auf der Weltbühne mithalten können. Heute blicken Kritiker und Verbraucher über diese legendären Namen hinaus, um Italiens aussergewöhnliches weinbauliches Erbe zu erkunden: Die terroirgeprägten Stile von Barolo, Barbaresco, Montalcino, Ätna und anderen stehen im Rampenlicht. Aber die rebellische Tendenz der Toskana geht weiter: Eine neue Welle von Erzeugern – wie Bibi Graetz – produziert Weine, die trotzig als IGT Toscana abgefüllt werden. Auch wenn es viel mehr Konkurrenz gibt, gehören die Super Tuscans nach wie vor zu den besten und begehrtesten Weinen des Landes.

Super-Tuscan Ornellaia in der Holzkiste

Ornellaia mit Künstleretikette (c)adrian van velsen

Super Tuscans, die Sie kennen müssen

Von Gesetzes wegen gibt es keine genaue Definition was ein Super-Tuscan ausmacht und es gibt viele Weine die diesen Titel wohl tragen können. Wir haben uns erlaubt hier einige Weine aufzuzählen, welche unserer Meinung nach garantiert dazu gehören und zu den berühmtesten Weinen der Welt zählen.

Sassicaia

Der erste Super-Toskaner, der von der Tenuta San Guido in Bolgheri hergestellt wird. Er ist eine Mischung aus Cabernet Sauvignon (85 %) und Cabernet Franc (15 %) und hat als einziges Weingut in ganz Italien eine eigene DOC, die Bolgheri-Sassicaia.

Tignanello

Der berühmte Rivale von Sassicaia, der ebenfalls von Piero Antinori ins Rampenlicht gerückt wurde, stammt aus dem Chianti. Er war der erste, der Sangiovese mit Cabernet vermischt hat.

Solaia

Der Bruder des Tignanello ist die umgekehrte Mischung: Cabernet steht im Vordergrund, ergänzt durch einen kleineren Anteil an Sangiovese.

Ornellaia

Er wurde von Piero Antinoris Bruder Lodovico auf Anraten von André Tchelistcheff kreiert und ist eine Bordeaux-Mischung mit Cabernet-Anteil. Das Weingut ist im Besitz der Familie Frescobaldi.

Masseto

Der andere Wein, der von Lodovico Antinori kreiert wurde: Obwohl er ursprünglich nur mit Cabernet arbeiten wollte, befand André Tchelistcheff, der berühmte Önologe, den Hügel von Masseto als ideal für Merlot. Die Früchte dieser Lage wurden 1986 zum ersten Mal als reiner Merlot in Flaschen abgefüllt. Heute wird der Masseto getrennt vom Weingut Ornellaia betrieben und hat seine eigene Kellerei und Identität.

Grattamacco

Ein weiterer der ersten Super Tuscans, bei dem Cabernet mit Sangiovese verschnitten wird. Piermario Meletti Cavallari kaufte 1977 einen verlassenen Weinberg, auf dem nur Sangiovese stand, den er später mit Cabernet veredelte. Grattamacco war einer der ersten Erzeuger, der Bolgheri auf dem Etikett seines Weins angab.

Montevertine Le Pergole Torte

Dies war einer der ersten reinen Sangiovese-Weine aus dem Chianti, der in französischer und slawonischer Eiche ausgebaut wurde. Der erste Jahrgang war 1977, ein Verschnitt aus den besten Weinbergen des Weinguts.

Fontodi Flaccianello 2016 in der Kiste

Flaccianello della Pieve 2016 (c)weinkellerschweiz.ch

Fontodi Flaccianello della Pieve

Der erste Jahrgang Flaccianello war 1981 geboren. Ursprünglich wurde er aus einem einzigen Weinberg gekeltert. Seit 2001 ist er ein Verschnitt aus den besten Trauben des Weinguts, besteht aber immer noch zu 100% aus Sangiovese und ist als Colli Toscana Centrale klassifiziert. Der Anteil an neuem Eichenholz wurde verringert und ein Teil des Weins wird in Amphoren abgefüllt.

Isole e Olena Cepparello

Dieser reine Sangiovese wurde erstmals 1980 hergestellt und wird heute nur noch zu etwa einem Drittel aus neuer Eiche und zu einem kleinen Teil aus amerikanischer Eiche ausgebaut. Bemerkenswert ist, dass er sowohl mit Schraubverschluss als auch mit Kork abgefüllt wird, denn Paolo di Marchi glaubt fest an die Vorteile des Schraubverschlusses.

San Giusto a Rentennano Percarlo

Dieser 100%ige Sangiovese wurde erstmals 1983 hergestellt und stammt aus den besten Weinbergen des Weinguts.

Felsina Fontalloro

Dieser reine Snagiovese wurde 1983 zum ersten Mal hergestellt und stammt von Rebstöcken aus dem Chianti Classico und dem Chianti Colli Senesi. Es war im Jahr 1966, als Domenico Poggiali Fèlsina den mutigen Schritt wagte, das Weingut zu einer Zeit zu kaufen, als die die italienischen Weinbauern zu kämpfen hatten.

Castello di Ama L’Apparita

Der erste 100%ige Merlot aus der Toskana (mit dem ersten Jahrgang 1985) setzte sich knapp gegen Masseto durch. Der 1987er Jahrgang von L’Apparita schlug 1992 in einer Blindverkostung, die von einer Jury, darunter Michel Rolland, bewertet wurde, Pétrus, Le Pin und mehrere andere Merlots.

Querciabella Camartina

Dieser 1981 erstmals hergestellte Wein war ursprünglich eine Mischung aus hauptsächlich Sangiovese und Cabernet, aber die Mischung hat sich im Laufe der Zeit umgekehrt.

Bibi Graetz Testamatta + Colore

Die Spitzenweine von Bibi sind elegante Ausdrucksformen der einheimischen Rebsorten der Toskana, die von alten Rebstöcken in hohen Lagen stammen. Testamatta ist ein reiner Sangiovese, während das Flaggschiff Colore ein Sangiovese mit einem Hauch von Colorino ist.

Und natürlich hat sich die Qualität des Chianti in den letzten 20 Jahren wieder erholt, und es werden überall im Land Spitzenweine produziert, die oft für sehr wenig Geld zu haben sind.