Vermutlich gibt es kaum einen Begriff, der in der Weinsprache häufiger missverstanden wird als „Terroir“. Nur ein weiterer Anwärter fällt mir noch ein, und zwar „Mineralität“. Aber dazu später.
„Terroir“, das heisst im französischen „Gegend“. Und eigentlich ist damit schon alles gesagt. Terroir ist nicht der Boden. Wenn ich „Münsterland“ oder „Schwyz“ höre, dann denke ich doch auch nicht zuerst an die pedologischen Charakteristika dieser Gegenden! Terroir bedeutet bei Wein nichts anderes als gebietstypisch, charakteristisch für diese Gegend. Die zwei wichtigsten Einflussfaktoren, die Terroir ausmachen, sind zuerst der menschliche Faktor, die lokalen Bräuche des Weinbaus und der Weinbereitung, die regionale kulturwirtschaftliche Tradition. Ein klassischer Rioja schmeckt in erster Linie unverkennbar, weil er mit den im Rioja typischen Methoden im Weinberg und im Keller erzeugt wurde. Das ist Terroir. Und zweitens ist es das Klima. Barossa Valley hat ein anderes Klima als das Ahrtal, und das hat natürlich eine Auswirkung auf den jeweils typischen Charakter der Weine. Das Mikroklima einer Lage spielt ebenfalls eine Rolle – Barolo ist dafür ein gutes Beispiel. Auch das ist Terroir. Die in einer Region typisch verwendeten Klone einer Rebsorte sind Bestandteil des Terroirs. Und dann kommt irgendwann der Boden und die Gesteinsformation unter den Rebstöcken, die ebenfalls einen Einfluss auf das Terroir eines Weins haben. Wer sich mit dem Begriff „Terroir“ schwer tut, möge es einfach ersetzten durch „Gebietstypizität“. Wenn ich einen Moselriesling erkenne, weil er wie ein Moselriesling duftet und schmeckt, dann zeigt er Terroir, und der Boden hat damit womöglich kaum etwas zu tun.
Die Mineralität
Mein zweiter Patient ist heute der Begriff „Mineralität“. Das erste grosse Missverständnis ist hier das gleiche wie bei Terroir. Mineralität im Wein hat nichts zu tun mit dem Boden und dessen Mineralien, auf denen die Reben stehen. Sie hat auch nicht viel mit gelösten Mineralstoffen, also mit Metallionen zu tun. Es gab ja die äusserst naive Vorstellung, dass die Reben mit ihren tiefen Wurzeln die Mineralien aus dem Boden herausziehen und quasi über die Trauben direkten Weges in den Wein bringen, der dann entsprechend mineralisch schmeckt. Das ist freilich eine kindlich unbedarfte Annahme. Tatsächlich ist das Geschmacksprofil von Mineralien, genauer von Metallionen in wässriger Lösung, sehr limitiert und ausgesprochen unattraktiv. Es begrenzt sich auf salzig (Natrium), bitter (Magnesium), süss (Blei, aber auch Natrium in geringer Konzentration) und Kombinationen davon. Vor allem kann man Mineralien nicht riechen, was daran liegt, dass sie nicht flüchtig sind. Wer auf das Verdunsten (oder korrekter: Sublimieren) eines Granitbrocken wartet, wird selber verdunstet sein, bevor der Granit auch nur ein Mikrogramm seiner Bausubstanz an die Gasphase abgegeben hat. Nur sehr, sehr wenige Mineralien und Gesteine haben einen Eigengeruch.
Gehört der Begriff „Mineralität“ also in die Tonne unnützer Weinsprache? Nein! Und das hat zwei gute Gründe. Fast jeder kennt den Geruch von nassem Töpferton, von Feuerstein, wenn man durch Schlagen auf Metall Funken erzeugt, von Kieselsteinen, besonders intensiv nach einem Sommerregen am Ufer eines Bachlaufs oder Flusses, von Schieferplatten, Kreide, oder von ausgetrocknetem Lehmboden, der von einem Regenschauer angefeuchtet wird. Letzterer Geruch hat sogar einen eigenen Namen (Petrichor). Nasser Kalkmergel riecht anders als nasser Tonmergel.
Aber wie kann das sein, wenn doch ein Kieselstein nichts an die Gasphase abgibt, was aber Grundvoraussetzung für Geruch ist? Man riecht Bestandteile der Biosedimente, die von Mikroorganismen verursacht werden, welche die entsprechenden Böden besiedeln. Geosmin ist ein bekanntes Beispiel.
All diese mineralischen Gerüche (also Aromen) können auch im Wein vorkommen. Sie müssen dabei gar nicht chemisch identisch sein mit den Stoffen, welche die Gerüche von Mineralien in der Natur verursachen. Gut bekannt ist zum Beispiel das TDN (1,1,6-Trimethyl-1,2-dihydronaphthalin), welches die Petrolnote von Riesling verursacht, in geringen Konzentrationen aber als Schiefermineralität wahrgenommen wird. Schiefer gehört zu den ganz wenigen Mineralien, die tatsächlich einen intrinsischen Eigengeruch haben. Das TDN, das einem Riesling gemeinsam mit dem Rieslingacetal (2,2,6,8-Tetramethyl-7,11-dioxatricyclo [6.2.1.0(1,6)] undec-4-en) seine Schiefermineralität verleihen kann, hat nichts mit der Bodengeologie unter den Reben zu tun und ist chemisch nicht mit den Geruchsstoffen des Schiefers verwandt. Es ist vielmehr ein Abbauprodukt von Carotinoiden, die die Reben als Sonnenschutz produzieren. Schiefermineralität kann deshalb auf jedem Boden entstehen.
Es ist aber auch möglich, dass Umweltgerüche äusserlich auf der Haut der Weinbeeren adsorbiert werden und so in den Wein gelangen. So kam der rauchige Geruch nach den verheerenden Bränden im Napa Valley in die Weine – einige Weine waren wegen extrem starker Raucharomen ungeniessbar und wurden vernichtet. Wenn man in der Sommerhitze im Roten Hang steht, kann man ihn riechen. Die organischen Moleküle, die den Geruch verursachen, werden zwar nicht von den Wurzeln der Reben aufgenommen, aber sie könnten aus der Luft von aussen an den Weinbeeren adsorbiert werden. Ob dieser Mechanismus tatsächlich das Aroma von Weinen beeinflusst, ist meines Wissens noch nicht nachgewiesen.
Fakt ist: es gibt Gerüche, die mit Mineralien assoziiert werden, weil es ganz konkrete Duftstoffe gibt, die auf diesen Mineralien vorkommen. Mineralische Noten im Wein haben weder unmittelbar noch ursächlich etwas mit Mineralien zu tun, aber sie sind da! Um sie zu verstehen, muss man auch nicht an Steinen lecken, weil Geschmack überwiegend über den Geruch passiert. Schmecken können wir bekanntlich nur süss, sauer, salzig, bitter, umami und wahrscheinlich auch Fett. Alle anderen Aromen nehmen wir beim Essen oder Trinken retronasal – also im Nasenraum – wahr.
Mineralität kann auch die Textur eines Weins, also sein Mundgefühl beschreiben, das eng mit der Struktur des Weins im Zusammenhang steht.
Der zweite Grund, warum Mineralität ein nützlicher Begriff in der Weinsprache ist: die meisten interessierten Weintrinker können mit dem Begriff etwas anfangen. Wenn mir mein Weinhändler einen Chablis als bissig mineralisch beschreibt, dann kann ich das einordnen und verstehe, was er meint. Genau dafür ist Sprache da.
Gute Zusammenfassung des Erkenntnisstandes. Ich würde gerne ein paar Punkte ergänzen. Denn mit Terroir, Mineralität und dem Zusammenhang zwischen beiden habe ich mich schon vor über 10 Jahren mal beschäftigt, als das Thema gerade so richtig en vogue geworden ist.
https://www.vinositas.com/terroir/
Du hast Terroir mit „Gebietstypizität“ übersetzt, ich mit „Lagencharakter“, was ähnlich aber nicht identisch ist.
Dass „man Mineralien nicht riechen [kann], was daran liegt, dass sie nicht flüchtig sind“, stimmt zwar, allerdings sind sie unter bestimmten Umstände durchaus auf der Nasenschleimhaut und dem Geruchsepithel wahrnehmbar. Nämlich dann, wenn sie als Aerosol vorliegen. Das kann jeder selbst mal ausprobieren, indem man eine reine Kochsalzlösung herstellt, sie gründlich schüttelt und die Nase darüber hält. Das Gleiche nur mit Wasser liefert ein anderes Wahrnehmungsbild. Beim Trinken fließt der Wein nicht schnurstracks laminar die Kehle runter, sondern wird im Mund-Rachen-Raum verwirbelt; es entstehen Aerosole. Je intensiver man den Wein im Mund bewegt, um so intensiver wird er erwärmt und gepurgt, es werden flüchtige Duft-Stoffe, aber auch Aerosole, freigesetzt. Ob überhaupt und wenn, wie intensiv das zur Wahrnehmung von ‚Mineralität‘ beiträgt, kann ich nicht sagen. Literatur dazu habe ich nicht gefunden, ich habe aber auch nicht intensiv gesucht.
Du hast auch Recht, dass es „freilich eine kindlich unbedarfte Annahme“ ist, „dass die Reben mit ihren tiefen Wurzeln die Mineralien aus dem Boden herausziehen und quasi über die Trauben direkten Weges in den Wein bringen, der dann entsprechend mineralisch schmeckt.“ Aber so „sehr limitiert und ausgesprochen unattraktiv“, wie Du schreibst, ist deren Einfluss auf den Geschmack von Wein durchaus nicht. Der Zuckerfreie Extrakt, der sich aus den anorganischen Kationen und überwiegend organischen Anionen zusammensetzt, bestimmt den Geschmack eines Weines wesentlich mit und kann auch (mit) verantwortlich sein für die Wahrnehmung von ‚Mineralität‘. Ich schrieb:
„Weine mit hohen zuckerfreien Extraktwerten schmecken einfach voller, Weine mit geringen zuckerfreie Extraktwerten schmecken in der Regel dünn oder fade.“
2012 hatte ich ebenfalls geschrieben, wobei wir da von ‚Mineralien‘ im Boden reden:
„Untersuchungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass die Zusammensetzung und Konzentration der Nähr- und Mikronährstoffe im Bodenwasser Einfluss auf die Genexpression von Pflanzen hat, was unterschiedliche Konzentrationen von Stoffwechselprodukten zu Folge hat. Es wäre ein Wunder, wenn davon nicht auch die geschmacksbildenden Komponenten der Weintraube betroffen wären.“
Ich habe mich in den letzten 1,5 Jahren intensiver mit genetischen Aspekten von Reben beschäftigt. Nicht im Hinblick auf die Entstehung von Aromen, sondern im Bezug auf die Reberkrankung Esca, die auf Holz zerstörende Pilze zurückzuführen ist. Dabei werden genetische Schalter getriggert, die zur Bildung bestimmter Substanzen führen. Mittlerweile kennen wir etliche, aber nicht alle. Die Literatur zeigt, dass Infektionen und viele andere äußere Faktoren Einfluss auf die Genexpression und die Geschmacksausbildung nehmen. So gibt es z.B. Studien der Uni Adelaide, die zeigen, dass bei sonst gleichen Bedingungen Biodyn zu einem veränderten Geschmacksbild führt als nur Bio.
Das ist eine gute Ergänzung aus einem anderen Blickwinkel. Nur bei dem zuckerfreien Extrakt muss ich relativieren, dass nur ein kleiner Anteil anorganische Salze, also Mineralstoffe sind. Der zuckerfreie Extrakt, der ja alle schwerflüchtigen Bestandteile des Weins ohne den Restzucker enthält, besteht ganz überwiegend aus organischen Stoffen, zuvorderst Glycerin und nichtflüchtigen Säuren, dann auch Phenolen, Eiweißen, und nichtflüchtigen Aromastoffen. Die Mineralstoffe machen etwa 10% des zuckerfreien Extrakts aus. Es ist aber plausibel, dass sie zum Mundgefühl, zur Textur des Weins beitragen.
Ja, wenn Du Dich ausschließlich auf die anorganischen Komponenten beziehst, da sind wir uns einig.
Nein, wenn Du ‚Mineralität‘ so verstehst, dass die Salze der anorganischen Kationen UND ihrer organischen Säuren (Anionen) zur Geschmackswahrnehmung ‚Mineralität‘ beitragen: „Der Zuckerfreie Extrakt, der sich aus den anorganischen Kationen und überwiegend organischen Anionen zusammensetzt, …“ (s.o.).
Ein typischer, trockener Wein enthält:
1,2 – 2,5 g/L anorganische Kationen, überwiegend Kalium,
5 – 8 g/L organische Säuren (Anionen)(titrierbare Säure), zusammen 6,2 – 10,5 g/L,
6 – 10 g/L Glycerin.
Der Anteil der Salze mit 6,2 – 10,5 g/L am Zuckerfeien Extrakt, der typischerweise 15 – 30 g/L beträgt, ist also durchaus nicht gering. Glycerin macht vor allem bei Beerenauslesen, Trockenbeerauslesen und Eisweinen den Hauptanteil aus, in denen er locker 15 g/L und mehr betragen kann.
Während der Zeit, in der ich bei einem Handelschemiker gearbeitet und u.a. auch Wein analysiert habe, habe ich auch so gut wie nie andere Konzentrationen gefunden. Waterhouse, Sacks & Jeffrey: „Understanding Wine Chemistry“ geben auch keine anderen Konzentrationen an. Ich habe extra nochmals nachgeschlagen.
Genau so sehe ich das auch
Das Thema ist spannend. Vielen Dank für ihre aufschlussreiche Darstellung. Die inflationäre Nutzung des Begriffes „mineralisch“ bei der Beschreibung von Wein machte mich vor längerer Zeit stutzig. Sollte Winzern gelungen sein, dieses für einige wenige Weine / Anbaugebiete /Rebsorten typische Merkmal künstlich zu erzeugen? Prof. Fischer hat sich intensiv damit beschäftigt. Zitat: „Kurzum: Ich kann Mineralität im Geschmack herbeiführen, indem ich den Wein säuere. Das führt zu einer gewissen Adstringenz. Sie entsteht aber nicht durch Phenole – sondern nur durch höhere Weinsäurewerte.“ Jetzt möchte ich nicht den Kritikern nach dem Mund reden, die behaupten Winzer würden bewusst ihre Weine mit chemischen Stoffen „tunen“. Was aber, wenn es unwissentlich über eine Säure aus bestimmten Agglomeratkorken geschieht? Ab 2014/15 stellte ich bei mir sehr gut bekannten Weinen eine bisher nie aufgetretene Adstringens/Mineralität fest. Die Winzer waren glücklich, gewannen die Weine doch ohne Eingriffe bei der Weinbereitung an sensorischer Breite …. wie ein Wunder wurde die Struktur fester, mineralischer…. der neue Style wurde auch prämiert und von Verkostern anerkannt. Alle hatten den identischen Agglomeratkorken. Jeder sollte zufrieden sein, eigentlich. Der Haken ist nur, dass die wundersame Mineralität, die Textur und das Mundgefühl auch bei den Nachbarn und sonstigen Mitbewerber plötzlich auftritt. Suberinsäure welche aus Agglomeratkorken in Wein übergeht, hat dieses Potenzial Weine zu „mineralisieren“. Vielleicht ist unsere Arbeit ein Schritt die wundersame Mineralisierung zu erklären: https://www.infowine.com/de/fachartikel/suberins%C3%A4ure_%E2%80%93_eine_potenziell_geschmacksaktive_substanz_die_von_einigen_agglomerierten_korken_freigesetzt_wird_sc_20177.htm .