Wird sich der Austritt von Château Angélus aus dem Klassifizierungssystem von Saint-Émilion auf den Weinverkauf auswirken?

Das Klassifizierungssystem im Bordeaux besteht seit 1855. Also seit Napoleon der III dies verlangt hatte. Und in Zukunft? Vielleicht braucht es dazu nochmals einen neuen Kaiser, um eine neue Weinklassifizierung durchzusetzen. Denn ursprünglich schaffte es keinen Wein aus dem Saint-Emilion in diese Klassifizierung von 1855. Daher beschlossen die Verantwortlichen der Region, 100 Jahre später, eine eigene Klassifizierung zu erstellen welche etwa alle 10 Jahre aktualisiert werden sollte. Aber Frankreich hat keinen Diktator mehr, und vielleicht ist die amerikanische Kultur einflussreicher, als man dort zugeben will, denn nach jeder neuen Klassifizierung wurden Klagen eingereicht.

chateau Angelus Saint EmilionMittlerweilen muss man sich ganz klar fragen, ob sich diese Übung noch wirklich lohnt, den Château Angélus gab bekannt, dass es aus dieser Klassifizierung ab sofort ausscheide. Ganz unerwartet kam das nicht, denn Angelus hat schon früher gedroht, diesen Schritt zu unternehmen. Man kann richtiggehend von einem Trend sprechen. Denn bei der Klassifizierung 2012 wurde die höchste Stufe an vier Château vergeben. Nämlich an Ausone, Cheval Blanc und Angélus. Von den Weingütern, die vor zehn Jahren als Premier Grand Cru Classé ‚A‘ eingestuft wurden, ist nur noch Château Pavie übriggeblieben.

Wird sich dies auf dem Wiederverkauf der Weine auswirken? Ich denke nicht. Denn ich habe noch von niemandem gehört, er sei nur an Chateau Pavie interessiert, weil er ein Saint-Emilion Classé A ist. Und ich habe auch noch nie jemanden getroffen, mich gefragt hat, ob ich einen «Saint-Emilion Classé A» Wein zum verkaufen hätte.

Der neue und alte Kaiser von Bordeaux

Bis vor kurzem, hatte das Libournais eine Art neuen Kaiser, der allen die sich für Wein interessieren, bekannt sein dürfte. Sein Name war Robert Parker, ein ehemaliger Anwalt aus den USA, der dem Wein mehr zugetan war, als den Gesetzestexten. Und auch er war, ähnlich wie Napoleon, sehr erfolgreich bei der Durchsetzung eines Rankingsystems. Und so zieht eine hohe Punktzahl vom Wine Advocate, immer noch mehr, als ein staatliches Klassifizierungssystem.

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Die Etikette dürfte wohl bald wieder so aussehen

Für wen die Glocken läuten

Aber um was genau geht es denn genau? Als Ausone und Cheval Blanc im letzten Sommer ankündigten, aus der Klassifizierung auszusteigen, beschwerten sich beide darüber, dass das verwendete System das Terroir herunterspielt und den Château Kriterien wie die Zahl der Weintouristen, Übernachtungsmöglichkeiten und die Zahl der Follower in den sozialen Medien wichtiger sei, als das Terroir und die Qualität des Weines. Stellen Sie sich vor, das wäre so im Burgund. Das wäre wohl eine kleine Katastrophe.

Das wirklich spannende an der ganzen Angelegenheit ist, dass dies nicht wirklich der Grund war, den Angélus offiziell für den Austritt angegeben hat. Der offizielle Grund für den Austritt von Angélus aus dem Klassement ist nämlich folgender: Der Eigentümer von Angélus, Hubert de Bôuard, wurde im November 2021 von einem französischen Gericht für schuldig befunden, unzulässigen Einfluss auf die Festlegung der Standards für die Klassifizierung von 2012 genommen zu haben. Dieses Urteil wurde von Angélus in seiner Pressemitteilung zitiert, in der der Rücktritt angekündigt wurde. Dieser Ausschnitt wollen wir Ihnen nicht vorenthalten – es lohnt sich, ihn zu lesen:

„Die Einsätze innerhalb der Klassifizierung haben zu zahlreichen Kritiken geführt und sie zur Zielscheibe eines Systems der Verunglimpfung gemacht, das zu zahlreichen Rechtsfällen geführt hat“, heisst es in der Presseerklärung. „Dies geschah natürlich 2006 und dann wieder 2012 (fast zehn Jahre später sind die Gerichtsverfahren immer noch im Gange), und wir haben soeben erfahren, dass zwei Eigentümer ein Eilverfahren gegen die Klassifizierung 2022 angestrengt haben, die derzeit ausgearbeitet wird. Die Klassifizierung von Saint-Émilion, die einst eine Quelle des Fortschritts war, ist zu einem Vehikel für Feindseligkeit und Instabilität geworden. Angelus bedauert diesen schädlichen Kontext, nimmt ihn aber zur Kenntnis und verlässt das System, indem es sich aus der Klassifizierung 2022 zurückzieht. Natürlich bestärkt uns das jüngste Gerichtsurteil, das Hubert de Boüard nach einem mehr als zehnjährigen Verfahren zu einer Geldstrafe wegen seiner Teilnahme am nationalen Ausschuss für Weinappellationen verurteilt hat, in unserer Entscheidung, aus einem Prozess auszusteigen, dessen Lebensfähigkeit uns nicht gesichert erscheint und dessen Vorteile die Risiken ungerechter Angriffe nicht aufwiegen“.

In dieser Mitteilung wird wenigstens anerkannt, dass das Klassifizierungssystem dazu beigetragen hat, Saint-Émilion die Aufmerksamkeit zu verschaffen die es ohne Zweifel verdient. In der heutigen hochgradig zersplitterten Weinwelt ist sogar Klatsch und Tratsch aus der Fachwelt wahrscheinlich eine gute Nachricht. Sie wollen ein Beispiel?  – Sie lesen gerade eine Geschichte über Saint-Émilion.

Wird das ganze was ändern? Was es für Auswirkungen auf die neue Klassifizierung hat, ist noch zu früh zu sagen. Ganz unwichtig finde ich persönlich die Klassifizierung nicht, ist sie doch sicherlich nicht ganz unwichtig für die Weine aus der zweiten Reihe. Oder können Sie nebst Figeac einen 1er grand cru classé B aus dem Stehgreif nennen?