Reduktion ist ein Begriff aus der Chemie, der den Vorgang der Elektronenaufnahme durch ein Atom oder Molekül beschreibt.
Ein Atom, das Elektronen aufnimmt, ist reduziert. Da die Elektronen irgendwo herkommen müssen, braucht es einen Reaktionspartner, der die Elektronen wieder abgibt. Die Abgabe von Elektronen nennt man Oxidation. Das Molekül, das Elektronen aufnimmt, wird also reduziert und oxidiert dabei seinen Reaktionspartner und umgekehrt. Das Ganze nennt man Redoxreaktion, und die Redoxchemie ist ein riesiges Gebiet der Chemie. So viel zur Abschreckung, und wer bis hierher durchgehalten hat, kommt jetzt zum Wein.
Wenn man von Reduktionsnoten im Wein oder von einem reduktiven Wein spricht, dann meint man bestimmte Aromen, die durch Schwefelverbindungen hervorgerufen werden. Schwefel ist eines der wenigen Nichtmetalle, das erstens in vielen verschiedenen Oxidationsstufen vorkommen kann und zweitens in zahlreichen organischen Verbindungen vorkommt, die drittens oft sehr intensiv riechen. Diese drei Eigenschaften zusammen erklären, warum Schwefelverbindungen für den organoleptischen Eindruck reduktiver Weine so entscheidend sind. Und damit komme ich zum Aromabild und zum Geruch der reduktiven Weine.
Rein geruchlich kann man zwei grundsätzlich verschiedene Arten der Reduktion im Wein unterscheiden. Ich nenne sie wegen der olfaktorischen Assoziationen mineralische und organische Reduktion. Etwas spiessiger könnte man auch von sulfitischer und sulfidischer Reduktion sprechen. Da wir Deutschen Schwierigkeiten mit der intonatorischen Unterscheidung von harten und weichen Konsonanten haben (be careful when you order crabcake!), spreche ich lieber von mineralischer und mercaptanischer Reduktion.
Mineralische Reduktion hat einen mineralischen Geruch, der manchmal an Schwefeldioxid erinnert, und kann unter anderem durch Sulfite verursacht werden. In aufsteigender Konzentration sind diese Gerüche
– silikatisch mineralisch (nasser Kies oder Kieselsteine)
– flintig (der Geruch, wenn man mit Feuerstein und Pyrit Funken schlägt, der auch chemisch identisch ist mit dem Geruch des Laufes einer Handfeuerwaffe oder eines Gewehrs einige Zeit nach dem Schuss)
– Geruch nach abgefeuerten Zündplättchen oder Schwarzpulver.
Diese Gerüche sind nicht nur auf Schwefel(IV)-Verbindungen wie Schwefeldioxid (Anhydrid der schwefeligen Säure) und organische Schwefelverbindungen der gleichen Oxidationsstufe zurückzuführen, sondern auch auf spezifische Thiole wie Benzylmercaptan oder 2-Furylmethanthiol, die einen empyromatischen, rauchigen Geruch haben. Auch Spuren von Disulfan und Trisulfan, die in höheren Konzentrationen nach Kampfer riechen, können für einen silikatisch-mineralischen bis flintigen Geruch verantwortlich sein.
Die organische oder Mercaptan-Reduktion wird durch Sulfide verursacht. Am auffälligsten ist Schwefelwasserstoff, dessen Anion das Sulfidion ist. Schwefelwasserstoff riecht schon in geringsten Konzentrationen nach faulen Eiern. Schwefelwasserstoff ist übrigens noch giftiger als Blausäure, da er aber um mehrere Zehnerpotenzen stärker riecht als Blausäure, kommt es fast nie zu Vergiftungen mit Schwefelwasserstoff. Eine grössere Rolle spielen im Wein die organischen Sulfide, die Mercaptane oder Thiole genannt werden, sowie die Thioether. Auch sie sind schon in geringen Konzentrationen geruchsintensiv. Als Böckser bezeichnet man einen Weinfehler, der durch Schwefelwasserstoff und Mercaptane verursacht wird. Mercaptane und Thioether riechen nach verfaultem Gemüse, in geringen Konzentrationen nach gekochtem Kohl und Spargelwasser. Ein weiteres Aroma reduktiver Weine ist der Geruch nach heissem Gummi, der durch organische Disulfide verursacht wird. Die Bezeichnungen „mineralische“ und „organische“ Reduktion leiten sich also vom Geruchsbild ab.
Beide Gruppen von Schwefelverbindungen wirken reduzierend, weshalb solche Weine als reduktiv bezeichnet werden. Während die mineralische Reduktion derzeit in Mode ist und von vielen Weintrinkern sehr geschätzt wird, ist die organische Reduktion kritisch und stellt bei zu starker Ausprägung einen Weinfehler dar. Erschwerend kommt hinzu, dass bestimmte Mercaptane auch für erwünschte Aromen verantwortlich sind, wie z.B. 3-Mercaptohexan-1-ol, 3-Mercaptohexylacetat, 4-Mercapto-4-methylpentan-2-on und 4-Mercapto-4-methylpentan-2-ol, die nach Zitrusfrüchten, Grapefruit und Passionsfrucht riechen. So viel zum Geschmack reduktiver Weine. Jetzt ist ein bisschen (Bio-)Chemie angesagt, um den Ursachen der Reduktion im Wein auf den Grund zu gehen.
Wie kommen diese reduktiven Noten in den Wein?
Der Laie denkt vielleicht an die Schwefelung der Weine. Aber die erwünschten mineralischen Reduktionsnoten werden nicht durch die übliche Schwefelung des Weines erreicht. Tatsächlich sind die Hefen für diese Schwefelverbindungen verantwortlich. Die Schwefelquellen sind zum einen Sulfat, das die Hefen über Sulfit zu Sulfid reduzieren, um daraus die Aminosäuren Cystein und Methionin herzustellen. Gegen Ende der Gärung kommt das Zellwachstum zum Erliegen, die Hefe benötigt keine Aminosäuren mehr. Das Enzym Sulfitreduktase, das für die Reduktion von Sulfit zu Sulfid verantwortlich ist, wird von der Hefe nicht mehr nachgeliefert, sondern produziert weiterhin Sulfit, das dann aus der Hefezelle ausgeschieden wird. Auf diese Weise können Hefen den SO2-Gehalt des Weins auf bis zu 30 mg/l anheben, ohne dass der Winzer schwefeln muss.
Die Hauptursache für die übermässige Ausscheidung von Schwefelwasserstoff durch die Hefen ist jedoch Stickstoffmangel. Stickstoff ist ein essentieller Baustein aller Aminosäuren. Steht den Hefen nicht genügend assimilierbarer Stickstoff zur Verfügung, können sie das aus dem Sulfat gewonnene Sulfid nicht verwerten und scheiden es als Schwefelwasserstoff aus. Notfalls können sie Stickstoff auch durch den Abbau der schwefelhaltigen Aminosäure Cystein gewinnen. Dabei entsteht als Abfallprodukt Schwefelwasserstoff, der ebenfalls aus der Hefezelle ausgeschieden wird. Als starkes Nucleophil ist der Schwefel im Schwefelwasserstoff sehr reaktionsfreudig und bildet in Folgereaktionen Mercaptane wie Methan und Ethanthiol sowie Thioether wie Dimethylsulfid, die in geringsten Konzentrationen zur Komplexität eines Weines beitragen können, aber auch schon in relativ geringen Konzentrationen unangenehme Aromen von gekochtem oder gar verwesendem Gemüse verursachen.
Erschwert wird die Situation durch schwefelhaltige Verbindungen, die nicht nur durch Pflanzenschutzmittel in den Most gelangen können, sondern auch durch den Schwefelmetabolismus der Hefen synthetisiert werden. Diese Verbindungen können über komplexe Reaktionskaskaden, die in der unteren Abbildung schematisch dargestellt sind, auch im bereits abgefüllten Wein reduktive Aromen erzeugen.
Reduktive Weine werden unter reduktiven Bedingungen, d.h. unter Ausschluss von Sauerstoff gekeltert. Auch die Schwefelung mit dem Reduktionsmittel Schwefeldioxid trägt zu reduktiven Bedingungen bei. Interessanterweise lassen sich mit der Mostoxidation aber auch langlebige, mineralisch-reduktive Weissweine erzeugen, die wenig oxidationsempfindlich sind. Flavonoide Phenole spielen eine wichtige Rolle bei der oxidativen Alterung von Weissweinen und der Bildung von Alterungstönen. Durch die Mostoxidation vor der Gärung werden diese Flavonoide bereits im Most oxidiert und können so entfernt werden. Dabei oxidieren die traubeneigenen Polyphenoloxidasen enzymatisch diese Phenole, die dadurch unlöslich werden und aus dem Most ausfallen. Die Gärung und der anschliessende Ausbau des Weines können dann unter reduzierenden Bedingungen erfolgen, bei denen auch die im Most gebildeten oxidativen Aromastoffe wieder vollständig reduziert werden, so dass trotz Mostoxidation ein reduktiver Wein entsteht.
Wer bis hier gelesen hat und es immer noch nicht ganz verstanden hat, weil er in Chemie nie aufgepasst hat, dem bieten wir bei den Weinbanausen.ch eine Ausführung für den Laien.
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