Ursachen und Auswirkungen auf den fine-Wine Markt

Die Primeurverkostungen in Bordeaux dauern noch an, während die schnellsten Journalisten bereits ihre Bewertungen publiziert haben. Gleichzeitig nimmt die Subskription des Jahrgangs 2023 Fahrt auf. Die ersten Preisstellungen für den Konsumenten sind im Markt angekommen und zeigen eine signifikante Entwicklung auf. Top-Häuser wie Léoville Las Cases oder Pontet Canet haben mit Preisstellungen von 66 Euro ex negocient und 89 Euro für Konsumenten die monetäre Richtung für die diesjährige Preiskampagne vorgegeben. Preisnachlässe von 30–40 % im Vergleich zum Vorjahr stellen eine massive Aussage dar und sind ein nahezu verzweifelter Versuch, sich dem Käuferstreik der letzten 12–18 Monate entgegenzustemmen.

Es lässt sich mit Sicherheit sagen, dass diese Entwicklung nicht das Spiegelbild eines qualitativ minderwertigen Jahrgangs ist, sondern trotz der guten Qualitäten, die im Jahr 2023 geerntet wurden, stattfindet. Die Konsequenzen für den Markt sind derzeit noch nicht absehbar. Es lässt sich mutmassen, dass es sich um einen Schicksalsjahrgang handelt, obgleich unklar ist, ob die eingeleiteten Massnahmen geeignet sind, um der Erosion der Verkaufsmengen Einhalt zu gebieten.

Des Weiteren sind die Konsequenzen für den Zweitmarkt von Interesse, da dort die bereits ausgelieferten Jahrgänge gehandelt werden. In den vergangenen 12 bis 18 Monaten war in diesem Segment bereits eine eindeutige Tendenz zu beobachten, die in Richtung eines Preisverfalls weist. Im Durchschnitt sind die Preise um 15 % gefallen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob die Preisnachlässe der diesjährigen Primeur-Kampagne weiteren Druck auf den Kessel ausüben. Käufer, die sich in den vergangenen Jahren „en primeur“ eingedeckt haben, um mit Sachwerten eine attraktive Rendite zu erzielen, dürften eine ähnliche Enttäuschung erleben wie Käufer teurer Immobilien, die noch im Jahr 2022 zu Höchstpreisen investiert haben. Im Falle des teuren Jahrgangs 2022 drohen Verluste in der Grössenordnung der diesjährigen Preisnachlässe, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Weine erst im Herbst dieses Jahres an die Käufer ausgeliefert werden.

Viele Weinflaschen hintereinander bei Bordeaux En-Primeur 2023

photo by adrian van velsen

Wir sind der Auffassung, dass eine Reihe von Faktoren dazu beigetragen hat, dass der Preisverfall in einem vergleichsweise kurzen Zeitraum und in erheblichem Umfang stattgefunden hat. In Analogie zu einer Baisse an der Börse erfolgt nun eine Abwärtsbewegung, die nicht mehr über das Treppenhaus, sondern direkt in den Keller führt. Welche Faktoren sind für diese Entwicklung verantwortlich?

  1. In den vergangenen Jahren war der Markt für Wein in erster Linie von Kapitalinvestoren geprägt, während Weinliebhaber nur eine untergeordnete Rolle spielten. In Konsequenz finden die Gesetze des Kapitalmarkts Anwendung. In den vergangenen 12 bis 18 Monaten haben Sachanlagen, insbesondere Wein, erheblich an Attraktivität eingebüsst. Der Grund hierfür ist in der Flüchtigkeit von Kapital zu finden. Bei einer Veränderung der Rahmenbedingungen ist der Markt ebenso betroffen wie eine Flasche Wein, deren Inhalt eine flüchtige Säure aufweist. Sie werden nicht mehr angerührt. Die Marktteilnehmer reagieren mit Zurückhaltung und ziehen sich zurück. Ein ähnlicher Effekt konnte nach dem rasanten Anstieg des Zinsniveaus beobachtet werden. Anstelle von Negativzinsen können nun wieder 3,0 % Zinsen auf dem Festgeldkonto erwirtschaftet werden. Bei einer längeren Bindung lassen sich vermeintlich sichere Renditen von 4 % und mehr mit festverzinslichen Wertpapieren erzielen. Dies hat zur Konsequenz, dass eine Vielzahl von Akteuren, die sich für die Assetklasse Wein als Sachanlage interessiert haben, das sinkende Schiff verlassen möchten. Die sprunghafte Zunahme des Angebots bei Auktionshäusern in Deutschland ist evident. In Europas grösstem Markt für Wein, London, hingegen, sind die Auswirkungen gänzlich andere. Die Lagerkapazitäten sind nahezu erschöpft. Ein beträchtlicher Anteil der verfügbaren Jahrgänge, insbesondere der jüngste, hochpreisige Bordeaux-Jahrgang, befindet sich in den Kellern der Händler und wird dort lediglich mit Schwierigkeiten abgesetzt. Dies führt zu einer Einschränkung der Liquidität und einem Anstieg des Abschreibungspotenzials sowie der Verluste. Es wird bereits berichtet, dass sich einige Händler in existenzbedrohenden Situationen befinden. Dies kann insbesondere für Subskriptionskäufer zu einer prekären Situation führen. Eine Insolvenz führt in der Regel zu einem Totalausfall der Forderung, was bedeutet, dass weder der gekaufte Wein noch das bereits gezahlte Geld an die Gläubiger ausgezahlt werden.

In den vergangenen Jahren hat die Stadt Bordeaux erheblich an Image verloren. Dies ist darauf zurückzuführen, dass der Faktor Schutz von Mensch und Umwelt für zahlreiche Käuferinnen und Käufer eine zunehmend wichtigere Rolle spielt. Diese Erkenntnis wurde jedoch vielfach zu spät gewonnen. Die über Jahrzehnte hinweg erfolgte intensive Verwendung von Pestiziden in Bordeaux hat bei zahlreichen Konsumenten zu Verunsicherung geführt. Valérie Murat und ihr Engagement gegen den sorglosen, flächendeckenden Einsatz diverser Spritzmittel haben spätestens im Jahr 2019 verdeutlicht, mit welchen Mitteln eine ganze Industrie als Gegner um ihr Geschäft, ihre Gewinne und den intensiven Einsatz ihrer Mittelchen kämpft. Valéries Vater verstarb höchstwahrscheinlich an den Folgen einer pestizidbedingten Krebserkrankung.

Zeichnung von einer Weinflasche, im Hintergrund ein Schloss, eine Hand schenkt Wein in ein glas

Ebenfalls von nicht unerheblicher Relevanz ist das geänderte Konsumverhalten. Einerseits ist in vielen Industrieländern in den vergangenen Jahren ein beachtlicher Rückgang des Alkoholkonsums zu verzeichnen. Andererseits lässt sich eine generationsübergreifende Veränderung des Geschmacks feststellen. Bis in die 1990er Jahre hinein waren alkohol- und tanninstarke Weine die Renner. Seitdem lässt sich ein deutlicher Trend zu Weinen beobachten, die trinkiger und bekömmlicher sind. Diese Entwicklung lässt sich auch bei Bordeauxweinen der letzten Jahre beobachten. Alkoholexzesse gehören der Vergangenheit an, und die Tannine sind bei den meisten Betrieben runder und feiner geworden. Dennoch bleibt ein Bordeaux ein Bordeaux, und Struktur sowie ein gewiser Reichtum gehören zur DNA dieser Weine. Letztlich ist dies auch als positiv zu bewerten, allerdings entspricht dies aktuell nicht den aktuellen Trends.

In diesem Kontext ist von besonderem Interesse, ob es sich hierbei um hausgemachte Probleme in Bordeaux handelt oder ob dies ein allgemein zu erwartender Marktreflex ist. Lässt sich also eine ähnliche Entwicklung bei den Burgund-Weinen prognostizieren, wenn man die Preisentwicklung in Bordeaux betrachtet?

Die Weine aus dem Jahrgang 2022 sind aktuell auf dem Markt verfügbar. Es lässt sich feststellen, dass nach den signifikanten und teilweise exorbitanten Preissteigerungen der vergangenen Jahre für Burgunder zumindest aktuell (noch) keine deutliche Umkehr erfolgt. Obschon die Winzer im Jahr 2022 besonders gute Qualitäten erzeugen konnten, scheint der Preis aktuell zumindest nicht weiter zu steigen. Allerdings kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch keine Aussage darüber getroffen werden, ob es zu einer Markträumung auf aktuellem Preisniveau kommen wird. Die zukünftige Preisentwicklung lässt sich frühestens in sechs bis zwölf Monaten abschätzen, wenn die ersten Handelshäuser ihre Preisvorstellungen kommunizieren. Ein Subskriptionssystem, wie es in Bordeaux etabliert ist, existiert im Burgund nicht.

Die unter Punkt 1 aufgeführten Gründe für die Preisentwicklung in Bordeaux sind global gültig und somit auch für den speziellen Teilmarkt Burgund-Wein relevant. Auch wenn sich viele Burgunder Winzer früher nicht durch einen restriktiven Einsatz von Pestiziden ausgezeichnet haben, ist doch die Abkehr von diesen Mitteln heute bei vielen Betrieben besser kommuniziert. Des Weiteren lässt sich eine verstärkte Hinwendung zu Massstäben ökologischer Landwirtschaft beobachten. Abschliessend lässt sich festhalten, dass die Charaktereigenschaften von Chardonnay und Pinot Noir die heute bevorzugten Genussanforderungen besser zu erfüllen scheinen als es Bordeaux-Weinen zugestanden wird.

Eine zusätzliche Herausforderung stellt der Einbruch des chinesischen Marktes dar, der auf die dilettantische Wirtschaftspolitik von Xi Jinping zurückzuführen ist. Der chinesische Immobilienmarkt, der in der Vergangenheit zahlreichen Menschen der Mittelschicht zu einem beträchtlichen Vermögen verholfen hat, ist gegenwärtig von einer signifikanten Wertvernichtung betroffen, die das Potenzial birgt, die Weltwirtschaft in eine Krise zu stürzen. Dies spiegelt sich auch im Weinkonsum nieder, der um fast die Hälfte eingebrochen ist.

Während Bordeaux mit seinen gewaltigen Mengen auch bei 1er GCC Prêt-à-porter ist, kann Burgund und Barolo als Haute Couture bezeichnet werden. Wir prognostizieren, dass die Preisentwicklung dort stabiler sein wird.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der Luxusweinmarkt zyklischen Schwankungen unterliegt, die durch externe Einflussfaktoren bedingt sind und sich auf die Preisentwicklung sowie den Konsum auswirken. Ob die in Bordeaux implementierten Massnahmen zu einer positiven Entwicklung führen werden, bleibt abzuwarten.

Aber wenn wir auf die letzte Preissenkung von 2019 zurückblicken, dann war das rückwirkend ein Jahr, in dem man zumindest sicher sein konnte, dass man mit der Arrivage ein paar Franken im Plus ist. Für diejenigen, die investieren wollen, ist es wahrscheinlich kein schlechter Zeitpunkt. Wir legen uns auf jeden Fall ein paar grosse Flaschen in den Keller.